Mehr als zwei Drittel der Menschen leben demnach in Staaten mit unterdrückter oder geschlossener Zivilgesellschaft. Besonders dramatisch ist die Situation für Frauen und Frauenrechtsorganisationen. „Frauen werden überproportional häufig Opfer von digitaler, psychischer und schließlich auch physischer Gewalt bis hin zur politisch motivierten Ermordung. Die Diskriminierung geht weiter, wenn Morde dann als Beziehungstat und nicht als politisch motivierte Angriffe gegen Frauen erfasst und verfolgt werden“, sagt Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt.
„Dabei sind es weltweit häufig Frauen, die Entwicklungs- und Versöhnungsprozesse tragen und positive Veränderungen anstoßen“, so Cornelia Füllkrug-Weitzel weiter. Auch in diesem Jahr geht der Atlas der Zivilgesellschaft im ersten Teil allgemein auf den aktuellen Stand weltweiter zivilgesellschaftlicher Freiheiten ein. Im zweiten und dritten Teil werden dann der Stand der Frauenrechte, vor allem: die Bemühungen, diese zurück zu drehen, untersucht. Damit hat der Atlas 2020 erstmals einen thematischen Fokus. Zur Analyse der Situation in einzelnen Ländern werden Partnerinnen von Brot für die Welt aus Brasilien, Sudan, Indonesien, Zentralamerika, Armenien und Uganda porträtiert. Sie schildern eindrücklich, wie sich Diskriminierung und Repression auf ihre Arbeit auswirken. Die brasilianische Menschenrechtlerin Maria Betânia Àvila sagt mit Blick auf die Veränderungen nach dem Amtsantritt von Präsident Jair Bolsonaro: „Die Regierung erteilt einen Freibrief zu mehr Gewalt und Druck gegen kritische Stimmen in der Gesellschaft.“ Davon betroffen seien besonders Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für Menschen- und Frauenrechte einsetzen.
Brasilien ist in Lateinamerika kein Einzelfall. In vielen Ländern der Region setzen sich besonders Frauen für Umweltschutz und Landrechte ein. Das macht sie häufig zur Zielscheibe von korrupten Politikern, kriminellen Banden, Investoren oder Großgrundbesitzern, die große Infrastrukturprojekte durch das zivilgesellschaftliche Engagement gefährdet sehen. „Die weltweite Einschränkung zivilgesellschaftlicher Freiheit geht uns alle an“, sagt Präsidentin Füllkrug-Weitzel, „auch die Bundesregierung trägt Verantwortung. Sie sollte in Bereichen wie der Außenwirtschaftshilfe jede Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen vermeiden, um sich glaubwürdig weltweit für Menschenrechte einsetzen zu können.“
Hintergrund:
Die Daten für den Atlas basieren auf Erhebungen von CIVICUS, einem weltweiten Netzwerk für bürgerschaftliches Engagement, und der Auswertung verschiedener Quellen und Indizes, beispielweise zur Rede- oder Versammlungsfreiheit.
CIVICUS unterteilt die Freiheitsgrade einer Gesellschaft in fünf Kategorien: offen, beeinträchtigt, beschränkt, unterdrückt und geschlossen. Die Daten belegen, dass derzeit nur in 43 Staaten der Handlungsraum der Zivilgesellschaft „offen“ ist. Im Vergleich zum vergangenen Jahr sind Australien und Malta aus dieser Kategorie abgerutscht. Somit gilt in 42 Staaten (2019: 40) der Handlungsraum als „beeinträchtigt“, darunter EU-Mitgliedsstaaten wie Österreich, Italien und Polen. 49 Staaten (2019: 53) „beschränken“ den Handlungsraum der Zivilgesellschaft, so auch weiterhin Ungarn und der EU-Beitrittskandidat Serbien. „Unterdrückt“ wird die Zivilgesellschaft in 38 Ländern (2019: 35), in diesem Jahr zählt dazu Indien mit seinen etwa 1,3 Milliarden Einwohnern. In 24 Staaten (2019: 23) ist der Raum für zivilgesellschaftliche Akteure „geschlossen“, darunter China, Ägypten und der Sudan.
Der Atlas der Zivilgesellschaft erscheint im Oekom-Verlag München:
Brot für die Welt, Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. (Hrsg.): »Atlas der Zivilgesellschaft. Report zur weltweiten Lage«, 84 Seiten ISBN 978-3-96238-171-4.
Den gesamten Atlas, sowie Infografiken und eine interaktive Weltkarte finden Sie unter:
https://www.brot-fuer-die-welt.de/atlas-der-zivilgesellschaft/