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„Wir weigern uns, Feinde zu sein“

Begegnung mit Daoud Nassar und seinem Friedensprojekt „Tent of Nations“

Tief bewegt zeigt sich der 18 Jahre Schüler David Vinu von Daoud Nassars Bericht und Projekt. „Davon können wir fürs Leben lernen.“


„Was hättet ihr getan?“ fragt Daoud Nassar die Schüler im Foyer des Büdinger Wolfgang-Ernst-Gymnasiums. Nassar ist ein Christ aus Palästina, der seit Jahrzehnten mit seiner Familie ein Stück Land im Westjordanland bewirtschaftet und bewohnt. Der Staat Israel hat ihm für die 42 Hektar einen Blanko-Scheck angeboten. „Soll man das annehmen?“, fragt Nassar und schaut in die Runde. Die Frage provoziert und lockt einige der 120 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen zehn und elf aus der Reserve. „Ich hätte das Geld genommen und mir woanders ein schönes Leben gemacht“, ruft einer.

„Aber damit würde man doch aufgeben“, entgegnet eine Schülerin - und ist mit dieser Äußerung ganz bei Daoud Nassar. Seit über 30 Jahren liegt er mit dem Staat Israel in einem Rechtsstreit, weil dieser versucht, Nassars Familie zu enteignen und ihr das Land wegzunehmen. Der Blankoscheck - eine Schikane von vielen.

Aufgeben ist keine Option für Daoud Nassar. „Das Erbe des Vaters kann man nicht verkaufen“, sagt er. Den Schmerz und die Frustration über die Anfeindungen und Zerstörungen, die sie ertragen müssen, verwandeln er und seine Familie in positive Energie und leisten gewaltlosen Widerstand. Ihr Motto: Wir weigern uns, Feinde zu sein.

Gut eineinhalb Stunden fesselt und berührt Daoud Nassar die Büdinger Schülerinnen und Schüler mit seiner Geschichte vom Leben unter Besatzung in einem zerrissenen Land. Er berichtet vom friedlichen Kampf um den Weinberg, den sein Großvater 1916 etwa acht Kilometer südwestlich von Bethlehem gekauft hat und den Daoud zu einem „Garden of all Nations“ gemacht hat.

Das Westjordanland gehört wie der Gazastreifen, Ostjerusalem und die Golanhöhen zu den von Israel besetzten Palästinensischen Autonomiegebieten. Das Land der Familie Nassar ist umgeben von fünf israelischen Siedlungen, die größte hat über 70 000 Einwohner. Weil der Großvater das vor über hundert Jahren erworbene Land im Osmanischen Reich registrieren ließ und Steuern zahlte, konnte die Familie den Besitz nachweisen, als Israel den Weinberg 1991 zu Staatsgebiet erklären wollte. Der Rechtsstreit darum dauert an.

„Wir haben viele Geschichten zu erzählen, aber wir sind immer noch da“, bekräftigt Daoud Nassar. Er darf auf seinem Land keine Gebäude errichten, das Leben findet in Höhlen und unterirdischen Wohnungen ohne Infrastruktur statt. Wasser sammelt die Familie in selbst ausgehobenen Zisternen, Solarzellen erzeugen Strom. Die Siedlerbewegung bedroht und zerstört die Pflanzen der Familie Nassar. Tausende Oliven- und Obstbäume wurden bereits zerstört. Der Schaden beträgt über 200.000 Euro.

Jammern allerdings sei keine Lösung, so Daoud Nassar. Er wolle kein Opfer sein. Und er weigere sich, zu hassen. Sein Weg: Das Negative mit dem Positiven überwinden. „Ich kann etwas tun, auch wenn die Situation ausweglos scheint.“ Und so ist er zum Friedensstifter im eigenen Land geworden. Er hat das Projekt „Tent of Nations“ gegründet, eine Jugendbegegnungsstätte, die bis zum 7. Oktober vergangenen Jahres jährlich von 13000 jungen Gästen aus 40 Nationen besucht wurde. Volunteers, Freiwillige, helfen bei der der Aprikosen-, Mandel- oder Feigenernte und erleben im Camp Gemeinschaft. Sie erfahren, dass es sich lohnt, für seine Überzeugungen und Ideale einzustehen.

Daoud Nassar sagt: „Frieden muss von unten wachsen, wie ein Olivenbaum.“ Er lädt die Büdinger Schüler ein, ihn zu besuchen. Er weiß nicht, wie es weitergeht. Das weiß man in der Westbank nie. Weite Teile sind unter israelischer Kontrolle. Straßensperren und sogenannte Checkpoints schränken die Bewegungsfreiheit ein. „Man kann nichts planen, man weiß nie, wie sich die Lage entwickelt.“ Der Alltag ist zermürbend und gefährlich. 27 Stunden benötigten Jihan und Daoud Nassar, um nach Deutschland zu gelangen. Aber er gibt die Hoffnung nicht auf: „Man muss heute etwas tun, damit morgen ein guter Tag wird.“

Daoud und Jihan sind für mehrere Tage in Deutschland unterwegs. Sie wollen auf ihr Projekt und ihre Lage aufmerksam machen und werben um Unterstützung. Den Besuch am Wolfgang-Ernst-Gymnasium in Büdingen hat der evangelische Pfarrer Dr. Andreas Goetze vermittelt. Er ist Referent für den interreligiösen Dialog mit dem Schwerpunkt Islam am Zentrum Oekumene in Frankfurt. Goetze ist seit 30 Jahren mit der Familie Nassar befreundet und unterhält persönliche Kontakte zu dem Büdinger Gymnasium.

Text: Seipel/Dekanat Büdinger Land

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