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Russland und Ukraine: Gesten der „Entfeindung“ gesucht

Die russisch-westlichen Beziehungen haben ihren Tiefpunkt erreicht, diagnostiziert Friedenspfarrerin Sabine Müller-Langsdorf. Sie plädiert für Dialog und Verständigung anstelle von Rüstungsexporten.

„Zur Zeit schaue ich mit Furcht und Zittern auf das, was sich in der Ukraine abspielt“, so äußerte sich die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus in ihrer Predigt zum ersten Weihnachtsfeiertag 2021. Und sie schob gleich die Frage hinterher: „Wo wird die Rhetorik der Feindschaft, wo wird die Spirale der Eskalation enden?“ Damit drückte Kurschus aus, was viele Menschen derzeit umtreibt: Angst vor einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine, einem Krieg in Europa. Nur wenig mehr als zwei Flugstunden liegen zwischen Frankfurt und der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Die Ukraine ist nicht weit weg. Doch natürlich ist es nicht allein die geografische Nähe, weshalb die Lage in der Ukraine große Sorgen weckt. „In einem Krieg gibt es nur Verlierer. Darum muss das Hauptziel jetzt sein, einen Krieg und jede Form der gewaltsamen Auseinandersetzung zu verhindern“, so benennt es Pfarrerin Sabine Müller-Langsdorf, Friedensbeauftragte der hessen-nassauischen Kirche.

Russisch-westliche Beziehungen auf dem Tiefpunkt

Seit der Unabhängigkeitserklärung im Dezember 1991 steht die Präsidialrepublik vor den größten Herausforderungen ihrer jüngeren Geschichte. Erst die Proteste auf dem Maidan-Platz 2013, dann die Absetzung der Regierung und schließlich die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Über Jahre hinweg herrschten im Osten des Landes bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen moskautreuen Separatisten und proeuropäischen Kräften. All diese Entwicklungen in der Ukraine führten zu einem Tiefpunkt der russisch-westlichen Beziehungen.

Ein Ende des Konflikts und eine Verbesserung der Beziehungen sind nicht in Sicht. Gescheiterte Gespräche, gegenseitige Drohungen, fehlendes Entgegenkommen und weitere Schritte der Aufrüstung befeuern die Krise. Der Konflikt ist komplex, betrifft nicht nur zwei Länder, sondern auch deren Verbündete sowie die Wirtschaftsinteressen verschiedener Nationen. Mehrere Seiten müssten jetzt konkrete Schritte unternehmen, um die Lage zu deeskalieren. Nur so ließe sich verlorengegangenes Vertrauen wiederaufbauen.

„Gesten der Entfeindung“

Die Ratsvorsitzende der EKD fragte in ihrer Predigt Weihnachten 2021 darum auch nach „Gesten der Entfeindung“. Die Friedensbeauftragte der EKHN, Sabine Müller-Langsdorf zitiert dazu auch das friedenethische Impulspapier der Evangelischen Kirche in hessen udn Nassau (EKHN) aus dem Jahr 2019: „Zivile Konfliktlösungen dienen dem Frieden weltweit nachhaltig. Darum treten wir entschieden für deren Vorrang vor militärischen Sicherheitsstrategien ein.“ Bezogen auf die Lage in der Ukraine appelliert Müller-Langsdorf: „Nur im Dialog und durch gewaltfreie Mittel kann eine gute Lösung für alle gefunden werden.“ Die politischen Bemühungen, das so genannte Normandie-Format wieder zu beleben, um einen konstruktiven Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, seien ein Weg dazu. Zudem mahnt Müller-Langsdorf zu einer historischen Sensibilität Deutschlands bezüglich der Ukraine und Russland. Beide Länder wurden im zweiten Weltkrieg von Deutschland überfallen und die Erinnerung an unsägliches Leid der Zivilbevölkerung gehöre zum kollektiven Gedächtnis der Länder. Zu den „Gesten der Entfeindung“ gehöre es demnach auch, auf eine Lösung hinzuarbeiten, die die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine wahrt und das Sicherheitsbedürfnis beider Seiten berücksichtigt.

Rüstungsexporte gefährden den Frieden

Daniel Untch, Referent für Friedensbildung im Zentrum Oekumene, nimmt einen weiteren Faden auf: „Rüstungslieferungen sind nicht Teil der Lösung, denn mehr Waffen in einem Spannungsgebiet führen erst recht zu einer Eskalation des Konflikts.“ Schon die Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland im Jahr 2007 wusste: „Rüstungsexporte tragen zur Friedengefährdung bei“. Untch fordert von der Bundesregierung die Einhaltung ihrer eigenen Regelungen: keine Lieferungen in Konfliktregionen.

Verständigung fördern

„Und Frieden braucht langen Atem". Das ist die Überzeugung von Pfarrerin Müller-Langsdorf. Neben nun dringend benötigten politischen Schritten bedarf es ihrer Meinung nach langfristig und systematisch des Aufbaus und der Stärkung von Dialogprojekten und Friedenserziehung, um Kontakte zwischen den Menschen in der Ukraine und Russland zu fördern, um Feindbilder abzubauen und Verständigung zu fördern. Das gilt auch für Projekte, die den Austausch zwischen der deutschen und der russischen und der ukrainischen Bevölkerung fördern. Als Beispiel nennt sie den Zivilen Friedensdienst (ZFD), der solche Projekte unterstütze. Ein Beispiel ist ein Projekt zur Stärkung der Zivilgesellschaft zur gewaltfreien Konfliktaustragung in den Regionen der Ukraine, in denen es seit 2014 Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Truppen und prorussischen Separatisten gibt. Das sind kleine Schritte und Lichtblicke. 

Gebet

Wir haben Angst vor Krieg, Gott.
Zwischen Russland und der Ukraine,
zwischen Ost und West, - vor Krieg in Europa.

So fern, so nah, die Ukraine.
Seit 2014 schwelt dort Gewalt.
1,5 Millionen Binnenflüchtlinge und mehr als 10.000 Tote.
Hinter jeder Zahl ein Mensch und sein Leben.
Jetzt Großmanöver und Truppenaufzüge,
Marinescharmützel bis in die Arktis.

Wann beginnt Krieg, Gott?
Wenn sich Feindbilder ins Herz schleichen.
Wenn Drohkulissen gebaut werden.
Wenn Rüstungsfirmen Gewinne machen.
Wenn Familien zu hamstern beginnen.
Wenn Söhne und Töchter verschwinden,
damit sie nicht zum Militär müssen.

Und wie, Gott, wie, kommt Frieden?
Miteinander reden, Vertrauen wagen, ent-feinden.
„Es ist die Stunde der Diplomatie“ heißt es …
Stärke diese Gabe bei Politikerinnen und Politikern.
Lass sie geduldig und hartnäckig suchen,
was dem Frieden dient.

Für die Menschen in der Ukraine und Russland,
für uns alle bitten wir:
Bewahre uns vor Krieg.
Behüte uns in deinem Frieden.
Aus ihm leben wir. Amen.

von Pfarrerin Sabine Müller-Langsdorf

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