Am 30. Oktober 2020 holte die Polizei die Bewohner*innen des auch von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) unterstützte Camp Pikpa morgens aus ihren Häusern. Die Kinder waren schon auf dem Weg zur Schule. Die Polizei blockierte den Zugang zum Lager. Freiwillige und medizinisches oder psychologisches Personal von Lesvos Solidarity hatten keinen Zugang. Anwälte und Anwältinnen wurde der Weg versperrt. Die im Camp Untergebrachten hatten kaum Zeit zum Packen und mussten viele ihrer persönlichen Sachen zurücklassen. Eine Mutter von drei Kindern beschrieb das so: „Unser Leben ist das Leben der Vögel. Wir bauen jeden Tag gemeinsam Nester, und mit einem Fingerschnipsen wird es wieder ruiniert.“
Menschen brauchen einen sicheren Ort
Jetzt sind die Menschen im Lager Kara Tepe untergebracht. Die lokale Initiative Lesvos Solidarity will weitermachen und alternative Unterkünfte für besonders schutzbedürftige Menschen anmieten. EKHN und Diakonie Hessen unterstützen diese Arbeit.
Sabine Müller-Langsdorf, Friedensbeauftragte der EKHN sagt: „Die Lage für Geflüchtete auf den Inseln der Ägäis ist untragbar. Die Lager sind zu voll, die hygienischen, medizinischen, sozialen und rechtlichen Bedingungen völlig unzureichend. Der Winter kommt und die Menschen brauchen jetzt einen sicheren Ort. Darum müssen die Lager sofort geräumt werden. Eine Verteilung innerhalb Europas muss gefunden werden. Dafür sollten sich Menschen bei ihren Abgeordneten und gegenüber politisch Verantwortlichen in Deutschland und Europa einsetzen.“
Doris Peschke von der Abteilung Flucht, Interkulturelle Arbeit, Migration der Diakonie Hessen unterstreicht: „Die Corona-Situation und die Unterbringung in großen Lagern verschärft die Gefährdung von Menschen allerorten. Eine wöchentliche Aufnahme von 100-150 Flüchtlingen aus Griechenland aktuell ist ein Hohn. Selbst die seitens des Innenministers zugesagte Aufnahme von 1.500 Menschen würde sich damit weit über den Winter hinziehen. Das kann und muss sehr viel zügiger geschehen. In Deutschland stehen mehr als 200 Kommunen für eine Aufnahme bereit.“
Ein Camp für die besonders Schutzbedürftigen
Pikpa wurde 2012 von engagierten Inselbewohnern aufgebaut und bis zuletzt von dem daraus entstandenen Netzwerk Lesvos Solidarity getragen und international unterstützt, auch von evangelischen Kirchen in Deutschland. Es war für bis zu 120 Personen ausgelegt, nahm in besonderen Notzeiten aber deutlich mehr Menschen auf. Dort fanden die am meisten gefährdeten Flüchtlinge Zuflucht: Menschen, die unter schweren Krankheiten leiden, Opfer von Folter und Gewalt, kinderreiche Familien, schwangere Frauen, Neugeborene, und Menschen, die selbst einen Schiffbruch erlebt und Angehörige auf See verloren haben. Bis heute wurden circa 30.000 Betroffene von den meist Ehrenamtlichen in Pikpa betreut. Für ihre herausragende Arbeit wurde Lesvos Solidarity im Jahr 2016 mit dem renommierten Nansen-Refugee-Award des UNHCR ausgezeichnet.
Pikpa ein Zeichen praktizierter Nächstenliebe
Noch im Oktober hatten Leitende Geistlichen von vier evangelischen Landeskirchen vor der Räumung gewarnt: „Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass Zentren, die als Anlaufstellen für schutzbedürftige Menschen dienen, womöglich geschlossen werden. Die Leistungen, die dort erbracht werden, sind von enormer Bedeutung“, hieß es in dem Brief an den griechischen Minister für Zuwanderung und Asyl, Notis Mytarakis. Anlaufstellen wie Pikpa brauche es in jedem Asyl- und Migrationssystem. „Sie stehen für praktizierte Nächstenliebe und Menschenwürde und in unseren Augen für den fundamentalen christlichen Auftrag, die Schwachen und Bedürftigen zu schützen“, betonten Prof. Dr. Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Dr. Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland.
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Betreff: Spende Lesbos