Für eine die Religionen übergreifende „Ethik des Maßes“ angesichts der Klimakrise haben sich die Teilnehmenden der 3. Interreligiösen Tagung des Zentrum Oekumene ausgesprochen. So sei es nötig, sich einzugestehen, dass ein gemeinsames Leben nur innerhalb von bestimmten ökologischen Grenzen möglich sei, erklärten sie am Mittwoch (16. Juni). Darauf könnten sowohl christliche Kirchen als auch islamische Gemeinden verstärkt aufmerksam machen und gemeinsame Aktionen starten. An der Online-Veranstaltung des Frankfurter Zentrums Oekumene in Kooperation mit der Universität Gießen nahmen unter anderem der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, die kurhessische Bischöfin Beate Hofmann sowie islamische Expertinnen und Experten wie Yaşar Sarıkaya (Gießen) und Mira Sievers (Berlin) teil.
Verständnis für den Klimawandel schaffen
Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (Kassel), erklärte zunächst, dass die Erfahrungen einer globalen Katastrophe der Welt mit der Corona-Pandemie noch „in den Knochen stecken“. Religionen hätten wichtige Funktionen auch in modernen Gesellschaften. Dabei sei nicht nur das Trösten eine Aufgabe, sondern auch die Herausforderung, den Menschen am Rand der Gesellschaft eine Stimme zu verleihen. „Gegen die Klimakrise gibt es keinen Impfstoff“, sagte die Bischöfin weiter. Der fortschreitende Klimawandel könne nur durch eine radikale Verhaltensänderung abgewandt werden. Die Religionen könnten durch ihren Schöpfungsglauben mehr Verständnis für die Folgen des Klimawandels erzeugen und dabei helfen, ihn zu begrenzen.
Hoffnungsperspektive des Glaubens neu bedenken
Nach Worten von Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (Darmstadt) können Religionen seelische Kräfte stärken. Gleichzeitig sagte er, dass die Glaubensgemeinschaften aktuell keine unumstrittenen gesellschaftlichen Kräfte mehr seien. So stünden die Kirchen etwa beim Thema sexualisierter Gewalt in der Kritik. Dennoch bleibe es zentral, in einer pluralen Gesellschaft gemeinsam auf die mental stärkende Rolle der Religionen hinzuweisen. So bleibe es eine Frage, ob der Glaube an Gott „eine Hoffnungsperspektive“ in der Krise geben könne. Die Religionen könnten dies gemeinsam stärker herausstellen. Wichtig bleibe es zudem, nicht in gegenseitiger Abgrenzung, sondern „in Beziehungen zu denken“.
Barmherzigkeit gegenüber den Geschöpfen walten lassen
Yaşar Sarıkaya, Professor für Islamische Theologie und ihre Didaktik (Gießen), wies auf die islamische Theologie hin, die die Erde als dankbares Geschenk verstehe, das sich in einem perfekten Gleichgewicht befinde. Die Natur sei zu nutzen und zu bewahren. Das von Gott gegebene Gleichgewicht dürfe dabei aber nicht zerstört werden. Ethisch passe dazu in der islamischen Tradition die Weisung, im Umgang mit Ressourcen sparsam umzugehen und Barmherzigkeit gegenüber allen Geschöpfen walten zu lassen.
Eins-zu-Eins Anweisungen fehlen in Bibel und Koran
Mira Sievers, Professorin am Berliner Institut für Islamische Theologie, Humboldt-Universität zu Berlin, zeigte auch die Verbindung des Korans zur biblischen Theologie auf. Wichtig sei, dass sich – wie bei der Bibel auch – aus dem Koran keine Eins-Zu-Eins Anweisungen für die heutige Zeit ableiten ließen. Es handele sich um einen literarischen Text, der in einen neuen Kontext zu stellen sei. Auch sei er aus einer stark auf den Menschen bezogenen Perspektive geschrieben ähnlich wie die biblischen Überlieferungen zur Schöpfung. Zentral bleibe die Einsicht, dass die Schöpfung an sich „gut“ sei.
Welt als Gewebe von Beziehungen verstehen
Der katholische Theologe Tobias Specker von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen (Frankfurt) betonte die Verwobenheit des Menschen mit der Schöpfung nach Ansicht der neueren christlichen Theologie. Natur sei dort ein „Gewebe von Beziehungen“ und kein rein naturwissenschaftlich erforschbares Objekt. Die Welt werde gedeutet als Schöpfung, die eine Gemeinschaft zwischen Gott, Welt und Mensch darstelle. Dies fördere eine besondere Haltung der Achtsamkeit. Dies gelte auch für die islamische Theologie.
Religionsübergreifender Dialog weiter nötig
Verena Dolle, Vizepräsidentin der Justus-Liebig-Universität Gießen stellt in ihrem Grußwort eine planetare Verantwortung der Religionen heraus. So sei der religionsübergreifende Dialog angesichts weltweiter Herausforderungen wie der Klimakrise nötig. Naime Çakır-Mattner, Professorin für Islamische Theologie mit dem Schwerpunkt muslimische Lebensgestaltung (Gießen) unterstrich in ihrem Statement zur Begrüßung die Notwenigkeit des verstärkten Austauschs.
Hintergrund Interreligiöse Fachtagung 2021
Der Hauptorganisator der interreligiösen Fachtagung, Andreas Herrmann, erklärte, dass die Veranstaltung das Verbindende der Religionen herausstellen wollte. Dazu hätten sich die Schöpfungstheologie und das Thema Klimakrise besonders geeignet, so der Referent für Interreligiösen Dialog am evangelischen Zentrum Oekumene in Frankfurt. Die Interreligiöse Fachtagung wollte deshalb der Frage nachgehen, „inwieweit sich das Reden von der Schöpfung in Christentum und Islam verknüpfen lassen“. Es war bereits der 3. Interreligiöse Fachtag, an dem etwa 50 Interessierte teilnahmen. Der erste Fachtag fand 2018 in zum Thema „Zukunftsaussichten für Religionsgemeinschaften und ihre Organisationsformen“ statt.