„Der dramatische Anstieg der Zahl hungernder Menschen, der am gestrigen Montag von der FAO bekanntgegeben wurde, muss Politik, Zivilgesellschaft und internationale Staatengemeinschaft endlich aufrütteln. Die FAO geht davon aus, dass im vergangenen Jahr bis zu 118 Millionen Menschen mehr an chronischem Hunger gelitten haben als im Vorjahr. Damit ist die Zahl der Menschen, die weltweit hungern auf bis zu 811 Millionen Menschen gestiegen. Dieser Anstieg belegt leider, dass die von Covid-19 verursachte Krise die Zukunftsperspektiven der schwächsten und ärmsten Menschen auf der Welt weiter verdüstert. Die Welt bewegt sich sprunghaft weg vom Ziel, den Hunger bis 2030 zu überwinden.
Konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Sellbstversorgung nötig
Es wird Zeit, dass die Weltgemeinschaft - neben dem Ziel, alle Menschen gegen Covid-19 zu impfen - endlich konkrete Maßnahmen unterstützt, um Selbstversorgung und regionale Märkte zu stärken, damit sich auch arme Menschen ausreichend und gesund ernähren können – auf dem Land und in der Stadt. Ein Drittel der Menschheit hat laut FAO keinen Zugang zu gesunder Nahrung und leidet unter Ernährungsunsicherheit. Das sind 2,37 Milliarden Menschen. Es wird Zeit, Agrarökologie und den Einsatz traditionellen Wissens und nachhaltiger Technologien zu fördern.
Vorrang für industrielle Landwirtschaft stoppen
Mit Sorge sehen wir jedoch, dass die Vereinten Nationen einen Welternährungsgipfel vorbereiten, der der industriellen und globalisierten Landwirtschaft Vorrang gibt. Bei der Suche nach Wegen, den weltweiten Hunger zu besiegen, muss die Vielfalt der Lösungswege und Nahrungsangebote kleinbäuerlicher Produzentinnen und Produzenten, von Indigenen, Fischern und Hirten in den Beratungen eine zentrale Rolle spielen. Sie erzeugen 60 bis 70 Prozent der Nahrungsmittel in Entwicklungsländern, wie auch die FAO bestätigt. Wir appellieren deshalb an die Bundesregierung, ihren Einfluss zu nutzen, den Trend zum Vorrang für die industrielle Landwirtschaft umzukehren. Sonst läuft uns die Zeit davon, bis 2030 das Ziel ‚Null Hunger‘ zu erreichen.“
Hintergrund:
Die Ernährungs- und Landwirtschaftorganisation der Vereinten Nationen (FAO), gibt gemeinsam mit anderen UN-Organisationen jährlich einen Bericht zum Stand der globalen Ernährungssituation heraus, den „State of Food Security and Nutrition in the World“. Dieses Jahr erscheint der Bericht im Rahmen der jährlichen Tagung des „Hochrangigen Politischen Forums“ (HLPF) der Vereinten Nation in New York zur Bewertung des Stands der Zielerreichung bei den 17 Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030. Der neue FAO-Bericht geht davon aus, dass 2030 noch immer 660 Millionen Menschen hungern werden.
Als Hauptursachen für die Entwicklung nennt die FAO neben wirtschaftlichen Krisen, Konflikten und der Klimakrise auch die wirtschaftliche Ungleichheit.
Agrarökologische Ansätze sind Schlüssel zur Überwindung von Hunger
Im aktuellen Bericht finden sich nicht nur die neuesten Zahlen zu Hunger, Mangelernährung und zur globalen Ernährungssituation. Schwerpunkt ist auch eine Analyse der unterschiedlichen Ernährungssysteme und ihres möglichen Beitrages zur Hungerbekämpfung. Wie schon die vor kurzem veröffentlichten Leitlinien des Welternährungsrates zu Ernährungssystemen scheut sich der Bericht jedoch, die industrielle Agrarproduktion und den weltweiten unfairen Agrarhandel nebst der Rolle von Agrar- und Lebensmittelkonzernen in ihrer Mitverantwortlichkeit für den Anstieg der globalen Hungerzahlen deutlich zu benennen. Immerhin erkennt die FAO an, dass die agrarökologischen Ansätze von Millionen Nahrungsproduzentinnen und –produzenten in Landwirtschaft, Viehhaltung, Waldnutzung und Fischerei der Schlüssel sind, um Mangelernährung und Hunger zu überwinden und auch die Ernährungssituation in den Städten deutlich zu verbessern.