Anfang Juni 2025 war eine siebenköpfige Delegation der Near East School of Theology (N.E.S.T.) aus Beirut zu Gast in Deutschland. Auf Einladung der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) sowie des Zentrums Oekumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) besuchte die Gruppe aus Lehrenden und Studierenden zahlreiche Partner und Einrichtungen in Hessen und Baden-Württemberg.
Christsein im Spannungsfeld von Konflikten und Hoffnung
„Als Christen sind wir im Nahen Osten eine kleine Minderheit“, sagte der Theologiestudent Saba Kerry. „Unsere Stimmen werden oft nicht gehört.“ Es ist wichtig, dass wir wissen: Wir sind verbunden – über Ländergrenzen hinweg.“ Die Delegation berichtete eindrucksvoll vom Leben der Christ*innen in der Region, von gesellschaftlichem Druck und politischen Spannungen, aber auch von der Kraft, die der christliche Glaube und die theologische Auseinandersetzung in dieser Situation geben.
Für viele der Teilnehmenden ist die N.E.S.T., eine traditionsreiche protestantische Hochschule in Beirut, ein Ort des theologischen Nachdenkens, der Hoffnung und Orientierung. Professorin Rima Nasrallah brachte es auf den Punkt: „Theologie hilft uns, Religion von Ideologie zu unterscheiden, und stärkt unseren Glauben in einer Zeit, in der Religion missbraucht wird.“
Zwischen Auswanderung und Verantwortung
Ein wiederkehrendes Thema in vielen Gesprächen war die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen im Libanon. George Sahili ist ein frisch graduierter Masterstudent, der dennoch bleiben will: „Die Jugend ist desillusioniert, viele wandern aus. Aber wir brauchen Menschen, die bleiben – für unsere Gemeinden, für unsere Gesellschaft. Theologie gibt uns Hoffnung und Standfestigkeit.“ Der evangelisch-armenische Christ und zukünftige Pfarrer möchte seiner Kirche im Libanon dienen.
Auch Pfarrerin Mathilde Sabbagh aus dem Nordosten Syriens, eine der wenigen Frauen in kirchlicher Leitungsfunktion im Nahen Osten, zeigte eindrucksvoll, wie sehr Christ*innen in der Region Verantwortung übernehmen – unter oft extremen Bedingungen. Ihre regelmäßigen Reisen durch verschiedene, teils umkämpfte Gebiete Syriens verdeutlichten, wie herausfordernd kirchliches Wirken dort ist. „Es gibt so viele bedrückende Momente in unserem Alltag“, so Sabbagh. „Wir sind täglich herausgefordert, weil wir in einem nicht enden wollenden Konflikt leben.“
Kirchenpräsidentin Tietz und Bischöfin Hofmann tief beeindruckt
Die Schilderungen der Delegation hinterließen bei der Bischöfin der EKKW, Beate Hofmann, einen bleibenden Eindruck. „Ihre Erfahrungen, Ihre Hoffnungen und Ihre Sorgen zu hören, ist für uns von großer Bedeutung, weil wir in Deutschland so wenig über die Lebensbedingungen in Syrien und im Libanon hören. Viele Menschen bei uns denken fälschlicherweise, Assad ist weg, jetzt können alle Syrer zurück. Mich beeindruckt, mit welcher Kraft und Hoffnungsstärke Sie miteinander Ihren Glauben leben. Wir werden von Ihnen erzählen und mit Ihnen verbunden bleiben.“
EKHN-Kirchenpräsidentin Dr. Christiane Tietz betonte: „Ich bin sehr beeindruckt von unserer Begegnung. Mich bewegt, wie existentiell Christinnen und Christen im Libanon in schwierigster Zeit um den Glauben an Gott ringen und theologisch an der N.E.S.T. die großen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen durchbuchstabieren. Insbesondere bei Gerechtigkeitsfragen kommt hier protestantische Theologie als kritisches Denken zur Geltung..“
Impulse für Kirche und Theologie in Deutschland
Bei einer öffentlichen Veranstaltung in der Evangelischen Akademie Frankfurt sprach Professor Martin Accad, Präsident der N.E.S.T., über „Christen und Muslime jenseits der Opferrollen“. Sein Plädoyer: weg vom bequemen Schwarz-Weiß-Denken, hin zu Empathie, Respekt und religiöser Bildung – auch bei nicht religiösen Menschen. Seine klare Botschaft: „Nur wer Narrative hinterfragt und zuhört, kann echten Dialog führen.“
Bildungsbrücke zwischen Beirut und Deutschland: Das SiMO-Programm
Ein wichtiger Bestandteil der Begegnung war auch der Austausch über das Programm Studium im Mittleren Osten (SiMO), das Studierenden aus Deutschland ermöglicht, zwei Semester an der N.E.S.T. zu studieren – mit Schwerpunkten auf Islam, orientalische Kirchen und ökumenische Praxis. „Viele berichten, dass sie diese Zeit nie vergessen haben – es ist eine intensive, prägende Auslandserfahrung“, so Susanna Faust Kallenberg, frühere Koordinatorin des Programms.
Mehr Informationen zum SiMO-Programm unter: http://simo-studienprogramm.org